June 9, 2022 | Köln, Deutschland

PFAS – das neue Asbest?

Dr. Jendrik Böhmer, LL.M., Rechtsanwalt/Partner, BLD Bach Langheid Dallmayr, Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB und Markus Schäfer, Head of Liability and Clinical Trials, Newline Europe Versicherung AG

Anfang dieses Jahres veröffentlichte die Europäische Chemieagentur ECHA einen Vorschlag zur Beschränkung von sog. per- und polyfluorierten Alkylverbindungen (kurz PFAS oder auch PFT/PFC) in Feuerlöschschäumen.[1] PFAS bezeichnet eine Gruppe von insgesamt mehr als 7.800 chemisch hergestellter Werkstoffkomponenten, die seit den 1930er Jahren Anwendung in der industriellen Produktion finden.[2] Die besondere Nutzbarkeit beruht auf der Eigenschaft, effektiv Flüssigkeiten untereinander oder Flüssigkeiten von Feststoffen trennen zu können. Dadurch wirken PFAS wasser- und schmutzabweisend. PFAS-Bestandteile sind in mannigfaltigen Produkten und Industriezweigen gebräuchlich – neben Feuerlöschschäumen – u. a. in Kabelisolationen, Reinigern, Textilien, beschichteten Kochgeräten, Lederwaren, Papier oder Farben.[3]

Aufgrund des Umstandes, dass PFAS nicht durch einen natürlichen Abbauprozess in ihrer Konzentration reduziert werden können, werden diese mitunter als „forever chemicals“ bezeichnet.[4] Mit der Nutzung von PFAS sind aber langfristig kaum abzuschätzende Risiken verbunden. PFAS-Rückstände sind nämlich nahezu überall in der Atmosphäre, dem Boden sowie in Grund- und Oberflächenwasser zu finden. Auch im menschlichen Körper lagern sich PFAS ab und werden nie vollständig abgebaut.[5]

Dies birgt erhebliche Risiken in sich, da mittlerweile die gesundheitsschädigende Wirkung von PFAS erforscht ist. So kann die Exponierung mit Substanzen aus der PFAS-Familie (u. a.) erhöhte Cholesterinspiegel, Veränderungen der Leberenzyme, Reduzierungen des Geburtsgewicht bei Neugeborenen, Schilddrüsenerkrankungen, verringerte Impfantworten bei Kindern sowie Nieren- und Hodenkrebs verursachen oder zumindest begünstigen.[6] Im aktuellen Ärzteblatt aus Mai 2022 wird beispielsweise darüber berichtet, dass PFAS auch das Diabetesrisiko erhöhen könnte.[7]

In den Vereinigten Staaten sind derzeit schon einige großvolumige Sammelklagen hinsichtlich Gesundheits- und Umweltschäden anhängig. Gleichermaßen werden Individualverfahren mit dem Ziel von Schmerzensgeld- und Schadensersatzansprüchen gegenüber einigen Herstellern geführt. Vor diesem Hintergrund soll die Verwendung von PFAS auch in den USA eingeschränkt werden. So treten Ende 2022 in vielen US-Bundesstaaten Umweltvorschriften in Kraft, die die Verwendung von PFAS in Lebensmittelverpackungen verbieten. Es wird außerdem gefordert, einen PFAS-Grenzwert von 70 ppt (parts per trillion) für Trinkwasser festzulegen. In Europa wurde die Europäische Trinkwasserrichtlinie (Richtlinie (EU) 2020/2184 vom 16.12.2020) und in Deutschland die Trinkwasserverordnung bereits angepasst. Seitdem listet die Europäische Trinkwasserrichtlinie erstmalig Vertreter aus der PFAS-Gruppe als Schadstoffe auf.

Aufgrund der gesundheitsschädigenden Wirkung von PFAS ist eine Produkthaftung der Hersteller PFAS-haltiger Produkte durchaus denkbar. Freilich obliegt es den potenziellen Geschädigten, den Kausalzusammenhang zwischen den PFAS-haltigen Produkten und möglichen Gesundheitsbeeinträchtigungen darzulegen und zu beweisen; so ist insbesondere eine Abgrenzung zum allgemeinen Erkrankungsrisiko erforderlich. Von Anspruchstellern wird aber häufig schon die Angst vor einer (schweren) Erkrankung als Gesundheitsbeeinträchtigung angeführt. Bislang hat diese Argumentation der Anspruchsteller (zumindest beim Beispiel der Valsartan-Fälle) bei deutschen Gerichten wenig Erfolg, was aufgrund überzeugender Gründe richtig erscheint.

Soweit PFAS-Rückstände im Boden eines Grundstücks festgestellt werden, könnten Umwelthaftpflichtversicherer mit diesem Problem konfrontiert werden. Gemäß dem Bundes-Bodenschutzgesetz (BBodSchG) sind sowohl die Verursachenden („Handlungsstörer“) als auch die Grundstückseigentümer:innen („Zustandsstörer“) verpflichtet, für die Beseitigung möglicher PFAS-Verunreinigung zu sorgen. Aktuell gibt es aber für PFAS nur für den Wirkungspfad Boden-Grundwasser Vorsorge-, Prüf- und Maßnahmenwerte in der Bundes-Bodenschutz- und Altlastenverordnung.

Die Versicherungswirtschaft sollte sich trotz, oder eher sogar wegen, dieser haftungsrechtlichen Lage die Frage stellen, wie deckungsseitig mit der PFAS-Thematik umgegangen wird.

Eine risikobegrenzende Wirkung kann über die Serienschadenklausel erzielt werden, sofern deren Voraussetzungen in Bezug auf PFAS-Substanzen erfüllt sind. In Bezug auf PFAS-Strukturen wird davon ausgegangen, dass diese zwar eine ähnliche oder identische Wirkweise haben. PFAS werden aber vielfältig eingesetzt und finden in ganz unterschiedlichen Industriezweigen Anwendung, die keine Verbindung miteinander haben. Daraus folgt, dass hinsichtlich der PFAS-Strukturen die Serienschadenklausel nur über die gleiche Ursache getriggert sein kann. Hierfür ist (weitere) Voraussetzung, dass ein innerer Zusammenhang vorliegt. Bei Schäden, die aus der Verwendung von PFAS in verschiedenen Industrien und Endprodukten resultieren, lässt sich dieser von der Serienschadenklausel geforderte innere Zusammenhang schwerlich bejahen. Geht es hingegen um PFAS-Strukturen, die in derselben Art und Weise verwendet wurden (zum Beispiel für die Herstellung bestimmter Kosmetika oder Textilien), und wird ein bestimmtes Produkt betroffen, so dürfte nicht nur die „gleiche Ursache“, sondern kann durchaus auch der innere Zusammenhang gegeben sein.

Daneben zeigen sich am Versicherungsmarkt bereits Tendenzen, die die Versicherbarkeit von mit PFAS einhergehenden Risiken generell infrage stellen. Wie restriktiv die Versicherungswirtschaft bei der Versicherbarkeit bestimmter Substanzen agieren kann, zeigt ein Blick auf den Umgang mit Asbest. Nach Ziffer 7.11 AHB sind Haftpflichtansprüche wegen Schäden, die auf Asbest, asbesthaltige Substanzen oder Erzeugnisse zurückzuführen sind, nicht gedeckt. Dieser mit den AHB 2002 eingeführte Risikoausschluss stellt eine Vorsorgemaßnahme der (deutschen) Versicherungswirtschaft dar und ist vor allem eine Reaktion auf die im angelsächsischen und amerikanischen Raum geführten Schadensersatz- und Schmerzensgeldverfahren, die es nun auch schon bei PFAS gibt. Dem Ausschluss kommt bis heute Relevanz bei Spätschäden, die auf die Verwendung von (mittlerweile verbotenem) Asbest zurückzuführen sind.

Hauptgrund für den Ausschluss in deutschen Versicherungsbedingungen ist freilich, dass das Asbestrisiko für die Erstversicherer selbst nicht rückversicherbar ist, sodass ihnen eine Risikostreuung verwehrt bleibt. Die Versicherungswirtschaft könnte bei PFAS eine vergleichbare Vorgehensweise wählen und Schäden, die auf PFAS zurückzuführen sind, von der Deckung insgesamt ausschließen. Andernfalls können die „forever chemicals“ der neue „Evergreen“ der Schadenabteilungen der Versicherer werden. Sofern die Versicherungswirtschaft der Industrie eine Streuung der PFAS-Risiken nicht (insgesamt) verwehrt, wird der Risikotransfer aber nur in einem offenen Dialog über den Umgang mit PFAS gehen. Denn nach derzeitigem Kenntnisstand wird ein (noch weitreichenderes) Verbot der Verwendung von PFAS – neben den eingangs erwähnten Feuerlöschschäumen – erst im Januar 2022 auf europäischer Ebene (durch ECHA) weiter diskutiert. Die PFAS-Risiken werden also derzeit nicht abnehmen, sondern eher zunehmen.

[1]   https://echa.europa.eu/de/registry-of-restriction-intentions/-/dislist/details/0b0236e1856e8ce6

[2]   Chesler, PFAS: Liability and Insurance Coverage Issues for the FOREVER CHEMICAL, 12.01.2021, https://www.andersonkill.com/Publications/PFAS-Liability-and-Insurance-Coverage-Issues-for-the-%E2%80%9CFOREVER-CHEMICAL

[3]   Jeweler/Miller, PFAS Enforcement and Liability Is on the Rise—Insurance Can Help, 06.08.2021, https://www.jdsupra.com/legalnews/pfas-enforcement-and-liability-is-on-6846437/.

[4]   Foley/Fowler/Jeweler/Zarghamee, An Update on Recent PFAS Regulation and Enforcement and the Resulting Insurance Implications, 10.12.2021, https://www.policyholderpulse.com/pfas-insurance/.

[5]   Fletcher, PHi 2022, 46.

[6]   Cunnigham/Lintecum/McMmullin, Cos. Should ReviewInsurance Policies For PFAS Coverage, 02.06.2021, https://www.law360.com/articles/1388226/cos-should-review-insurance-policies-for-pfas-coverage.

[7]   https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/133363/Umweltchemikalien-PFAS-koennten-Diabetesrisiko-erhoehen

Dr. Jendrik Böhmer, LL.M.
Rechtsanwalt/Partner
BLD Bach Langheid Dallmayr
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Markus Schäfer
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