Die EU-Verbandsklage und ihre Auswirkungen auf die D&O-Versicherung und die Produkthaftpflichtversicherung
Andreas Oevermann, LL.M., Senior Claims Adjuster/Syndikusrechtsanwalt, Claims, Legal and Compliance, Newline Europe Versicherung AG
Am 25.12.2020 ist die EU-Verbandsklage-Richtlinie in Kraft getreten. Eine Umsetzung in Deutschland ist in Vorbereitung. Dies muss bis zum 25.12.2022 geschehen – wie Deutschland den Umsetzungsspielraum nutzt, ist nicht bekannt und Gegenstand von Diskussionen. Ab dem 25.06.2023 muss das neue Gesetz angewandt werden.
Ziel der europäischen Verbandsklage ist es, die Durchsetzung von Verbraucherschutzrecht zu erleichtern und eine weitere Harmonisierung zwischen den Mitgliedsstaaten zu erreichen. Des Weiteren sollen Wettbewerbsverzerrungen zwischen nicht gesetzestreuen und gesetzestreuen Unternehmen vermieden werden.
Neu ist an der durch die EU-Richtlinie vorgegebenen Verbandsklage, dass diese nicht nur auf Feststellung gerichtet ist, sondern eine direkte Leistung einklagbar ist. In der Richtlinie wird die Leistung als Abhilfe bezeichnet. Die Abhilfe kann je nach Klagegegenstand Schadenersatz, Reparatur, Ersatzleistung, Preisminderung, Vertragsauflösung oder Erstattung des gezahlten Preises sein.
Fraglich ist nun, ob bei der Umsetzung ins nationale Recht auf die bestehende Musterfeststellungsklage gemäß
§ 606 ZPO aufgebaut oder ein neues Instrument geschaffen wird. Die Musterfeststellungsklage sollte zwar auch die Verbraucherrechte stärken, erfüllt aber nicht die von der neuen Richtlinie vorgegebenen Anforderungen, da keine Abhilfemöglichkeit besteht. Der Verbraucher kann also mit Erhalt eines für ihn positiven Urteils keine unmittelbare Leistung erlangen. Mit der Musterfeststellungsklage kann – wie der Name schon impliziert – nur ein Feststellungsurteil erreicht werden. Der geschädigte Verbraucher muss danach noch individuell gegen den Beklagten vorgehen.
Was die EU-Verbandsklage mit der Musterfeststellungklage verbindet ist, dass nur bestimmte Einrichtungen klagebefugt sind; die sogenannten „qualifizierten Einrichtungen“. Als typische qualifizierte Einrichtungen werden die Verbraucherschutzverbände genannt.
Neu für die deutschen Prozessbeteiligten ist die Offenlegung von Beweismitteln nach Art. 18 der Richtlinie. Wie diese scheinbar an das US-amerikanische Recht angelegte Möglichkeit genutzt werden wird, ist noch fraglich. Es ist aus zivilprozessualer Sicht als spannend zu bezeichnen, wie der Gesetzgeber in Deutschland die Anforderung konkret umsetzt. Es scheint auf jeden Fall ein Mehr zu sein, als die bloße Anordnung einer Urkundenvorlegung nach § 142 ZPO.
Die Erwägungsgründe sprechen ausdrücklich davon, dass die Richtlinie nicht dazu dienen soll, jeden Aspekt der Umsetzung der Verbandsklage zu regeln. Auch sollen die Rechtstraditionen der Mitgliedsländer durch die neue Klagemöglichkeit nicht geändert werden.
Mehrere Verbände haben ihre Konzepte für die Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht vorgelegt. Hervorzuheben ist das Gutachten von Alexander Bruns [1], welches durch einige Wirtschaftsverbände – auch durch den GDV – beauftragt worden ist. Darin wird unter anderem gefordert, dass sich eine Mindestanzahl von Verbrauchern per Opt-In in ein Klageregister eintragen müssen. Ohne ihre ausdrückliche Kenntnis sollen Verbraucher nicht beteiligt sein. Das Opt-Out-Modell wird abgelehnt. Die Teilnahme an der EU-Verbandsklage soll eine individuelle Rechtsverfolgung sperren.
Bei einer Verurteilung des Unternehmens soll dieses einen Abhilfefonds mit einer Gesamthaftungssumme errichten. Die Haftung des Unternehmens soll dann auf diese Summe beschränkt sein. Außergerichtliche Vergleiche aufgrund eines Opt-Ins sollen vorgesehen werden.
Die Musterfeststellungsklage soll bestehen bleiben. Das Gutachten fordert auch, die strengen Vorgaben der Richtlinie zur Prozessfinanzierung umzusetzen, damit sich keine neue Klageindustrie, wie beispielsweise bereits in den USA vorhanden, entwickelt.
Der VZBV, der Bundesverband der Verbraucherzentralen, stößt erwartungsgemäß in eine etwas andere Richtung. Nach deren Entwurf[2] soll die neue Verbandsklage an die Stelle der Musterfeststellungsklage treten bzw. diese so reformiert werden, dass Unterlassungsansprüche flexibel mit Feststellungs- und Leistungsanträgen kombinierbar sind. Es soll eine beitrittsunabhängige Verjährungshemmung und ein spätes Opt-In geben. Das heißt, dass die Verbraucher auch nach einer erfolgreichen Klage beitreten können. Die Abwicklung des Urteils soll über einen Treuhänder laufen.
Welche Ideen der Gesetzgeber umsetzen wird, bleibt abzuwarten.
Es stellt sich die Frage, welche Auswirkungen die Einführung der Verbandsklage auf die Versicherungsnehmer und Versicherer in den Sparten der D&O/E&O- und Produkthaftpflichtversicherung haben werden.
Sofern mit Einführung der Verbandsklage die Klagefreudigkeit von Verbrauchern ansteigt, so werden im gleichen Maße die Prozessrisiken für Unternehmen steigen. Neue Möglichkeiten Klagen prozess- und kostenoptimiert zum Beispiel über Legal Techs abzuwickeln oder die Frage wie Prozessfinanzierer eingebunden werden, erhöhen das Risiko für Unternehmen, künftig häufiger in Anspruch genommen zu werden. Allerdings möchte die EU auch nicht, dass die neue Verbandsklage missbraucht wird.
Dazu mag die Aufmerksamkeit, die die ersten EU-Verbandsklagen hervorrufen, die Unternehmen vor eine Reputationsproblematik stellen. Hier mag das Unternehmen schneller als „Täter“ stigmatisiert werden als ihm lieb ist.
Die D&O-Versicherung dürfte vordergründig nicht betroffen sein, da die Klagen sich zuerst gegen das Unternehmen und nicht gegen die Manager richten dürften. D&O-Fälle können aber im Nachklang zu einer Verbandsklage entstehen, wenn Regressansprüche der verklagten Unternehmen an die Manager gerichtet werden, weil deren Handeln pflichtwidrig war – den Managern also eine Pflichtverletzung vorgeworfen wird, die diese Schadenersatzansprüche ausgelöst haben sollen. Eine andere Situation kann allerdings dann entstehen, wenn in dem D&O-Versicherungsvertrag des Unternehmens eine Eigenschadenklausel vereinbart ist. Dann ist es möglich, dass das Unternehmen den Schaden bei Vorliegen der Klauselvoraussetzungen (z. B. Vorliegen einer Freistellung oder Entlastung des Managers) direkt von der Versicherung erhalten kann, ohne dass dieser Schaden vorher bei dem Manager regressiert werden muss. In manchen Fällen ist es auch möglich, dass eine Side
C-Deckung besteht, die direkt das Unternehmen bei Versicherungsfällen in Bezug auf den Handel mit Wertpapieren schützt.
Die E&O-Versicherung und die Produkthaftpflichtversicherung können bei einer Klage nach der neuen Richtlinie direkt stärker in den Fokus rücken.
Insbesondere kann nun auch die DSGVO in zivilrechtlicher Hinsicht für versicherte Unternehmen bedeutsam werden. Waren es vorher die Geldbußen, die für die Unternehmen bei Verstoß gegen die DSGVO ein Schreckgespenst waren, mögen es nun die Verbraucherklagen sein, die eine große Gefahr darstellen. Zwar sind die bislang im Einzelfall zugesprochenen Geldleistungen im Rahmen einer Schadensersatzklage nach der DSGVO für den einzelnen Verbraucher gering und somit für das Unternehmen verkraftbar, werden diese Summen jedoch mit einer großen Anzahl Klägern multipliziert, kann ein Verlust eines Verbandsklageprozesses für einige Unternehmen einen großen finanziellen Schaden bedeuten.
Auch der Schutz der Verbraucher bei Finanz– und Wertpapierdienstleistungen wird ausdrücklich in den Erwägungsgründen zur Richtlinie genannt und wird auch diese Branche vor neue Herausforderungen stellen.
Die Haftung für fehlerhafte Produkte ist im Anhang zur Richtlinie in Ziffer 1 als möglicher Gegenstand für eine EU-Verbandsklage genannt. Hier werden produzierendes Gewerbe und der Versicherer ein genaues Auge auf die Entwicklungen der EU-Verbandsklage haben müssen.
Eine weitere Gefahr für die Unternehmen und den Versicherer stellt das Problem des sogenannten „Forum shoppings“ dar. Das heißt, dass sich die klagebefugten Einrichtungen einen für sie vorteilhaften Gerichtsstandort suchen können, der in ähnlichen Fällen größere Schadensersatzansprüche zugesprochen hat. Auch wird die gesetzliche Ausgestaltung in den einzelnen Ländern dazu führen, dass sich die qualifizierte Einrichtung einen günstigen Gerichtsstandort sucht. Dies werden die Rechtsabteilungen der Unternehmen und die beratenden Rechtsanwälte vor Herausforderungen stellen, denn das Ziel, Verbraucherschutz zu harmonisieren wird durch die Richtlinie wohl nicht erreicht werden. Es ist vielmehr von einem Wettbewerb zwischen den Rechtsordnungen auszugehen.
Ob und wie die neue Klagemöglichkeit angenommen wird und welche Auswirkungen die EU-Verbandsklage auf die Unternehmen und die dahinterstehende Versicherungswirtschaft hat, wird die Praxis zeigen. Es ist aber damit zu rechnen, dass künftig vermehrte Verbraucherprozesse zu verzeichnen sind und die Kosten für die (Versicherungs-)Wirtschaft ansteigen werden.
[1] https://www.gdv.de/de/medien/aktuell/verbaende-fordern-verbandsklagerecht-effektiv-sachgerecht-und-angemessen-gestalten--71394
(Stand 20.05.2022)
[2] https://www.vzbv.de/eu-verbandsklage
(Stand 20.05.2022)
Andreas Oevermann, LL.M.
Senior Claims Adjuster/Syndikusrechtsanwalt, Claims, Legal and Compliance
Newline Europe Versicherung AG
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