April 23, 2021 | Köln, Deutschland

Das Versicherungssteuerrechts-Modernisierungsgesetz vom 03. Dezember 2020 – einige Antworten und viele Fragen

Prof. Dr. Jochen Axer, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, axis RECHTSANWÄLTE GmbH

Mit dem Ausklang des Jahres 2020 hat sich der Gesetzgeber zu einer umfangreichen Änderung des Versicherungsteuergesetzes (VersStG) und einer Wiederbelebung der Versicherungsteuer-Durchführungsverordnung VersStDVO entschlossen. Es ist immer wieder erstaunlich, wie es dem Gesetzgeber gelingt, statt klarer Regelungen neue Fragen aufzuwerfen oder sogar zu provozieren. Ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit seien einige zentrale Regelungsbereiche für Sachverhalte mit in der EU ansässigen Versicherungsunternehmen angesprochen:

  1. In der Vergangenheit war streitig, ob der Bundesrepublik Deutschland ein Besteuerungsrecht zusteht, wenn einer der Sondertatbestände des § 1 Abs. 2 Satz 1 VersStG betroffen ist, diese Risiken in ihrer Zuordnung aber außerhalb des EWR liegen. In der bisherigen Formulierung des Gesetzes war zweifelhaft, ob das Besteuerungsrecht in allen Fällen zu versagen sei, in denen es sich (weltweit) um Sonderrisiken im genannten Sinne handelte. Die Finanzverwaltung hatte bereits in der Vergangenheit auf dem Standpunkt gestanden, dass die sogenannten Sonderrisiken nur eine Doppelbesteuerung in EWR Bereich kategorisch ausschließen sollten, aufgrund der unionsrechtlichen Basis der Regelung ein fiskalischer Zugriff in Deutschland aber selbstverständlich dann gegeben sein könne, wenn es sich um eine Versicherung von Risiken mit Bezug auf unbewegliche Sachen, einer Zulassung unterliegende Fahrzeuge oder die kurzfristige Versicherung von Reiserisiken außerhalb des EWR Raums handele. Nunmehr ist durch § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1-3 VersStG klargestellt, dass auch in den Fällen, in denen es sich um solche Sonderrisiken handelt, bei Ansässigkeit des Versicherungsnehmers im Geltungsbereich des Gesetzes deutsche Versicherungsteuer erhoben werden darf. Auf die Frage, ob dadurch eine Doppelbesteuerung, einerseits in Deutschland, andererseits im Drittland, ausgelöst wird, kommt es nicht an.
    Im Versicherungsteuerrecht gilt kein weltweites Verbot der Doppelbesteuerung; das dahinter stehende Dilemma ließe sich allenfalls durch Doppelbesteuerungsabkommen regeln, die es in diesem Sinne für Versicherungsteuer als einer Verkehrsteuer jedoch nicht gibt.


  2. Einbezogen in die neue Regelung des § 1 Abs. 2 Satz 2 VersStG hat der Gesetzgeber im Übrigen die Frage der Möglichkeit der Besteuerung von Versicherungen, bezogen auf Risiken in Betriebsstätten im Drittland. Nach bisherigem Recht bestand insofern keine Steuerbarkeit, wenn sich das Versicherungsverhältnis auf eine Betriebsstätte des Versicherungsnehmers außerhalb Deutschlands bezog. Steuerpflichtig waren demgegenüber bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen  in diesem Sinne alle Formen einer Niederlassung nach der unionsrechtlich weiten Definition, so dass die Betriebsstätte, der Sitz oder auch die Tochtergesellschaft sich im Inland befinden konnten, um eine Möglichkeit für den deutschen Steuerzugriffs zu eröffnen. Mit der Neuregelung ist nun eine Steuerbarkeit auch für Versicherungen einer außerhalb des EWR belegenen Betriebsstätte einer nicht natürlichen Person geschaffen; einzige Voraussetzung ist, dass der Versicherungsnehmer seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat.

  3. Spannend und mit Sicherheit noch klärungsbedürftig sind in diesem Kontext mehrere Fragen:
  1.  Zum einen wird man aus Satz 3 Nr. 2 des § 1 Abs. 2 VersStG neuer Fassung die Antwort auf die Frage ableiten müssen, wann eine Versicherung einer Betriebsstätte überhaupt vorliegt, da sich das Versicherungsverhältnis auf die Betriebsstätte beziehen muss. Folgt man der jüngeren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs so wäre diese Voraussetzung bereits erfüllt, wenn dort das versicherte Risiko liegt (vergleiche BFH , Urt. vom 10.6.2020-VR 48/19) – oder anders interpretiert: Die inhaltliche Zuordnung des Risikos und seiner Belegenheit geht allen anderen denkbaren Kriterien im Zweifel vor.
  2. Zum zweiten unterliegt der Betriebsstättenbegriff in § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 VersStG sicher nicht mehr der unionsrechtlichen Interpretation. Während der europäische Gerichtshof auch Konzerngesellschaften trotz ihrer Eigenständigkeit dem Begriff der unionsrechtlichen Niederlassung unterwirft (EuGH vom 14.06.2001 - C- 191/99, Kvarener), gilt in der deutschen Interpretation des § 12 AO ein eigenständiger Rechtsträger nicht als Betriebsstätte. Es besteht Hoffnung, dass hierüber nicht gestritten wird, da das Bundesfinanzministerium in seinem Erlass vom 4. März 2021, Rz. 26 (III C4 – S 6400/21/100001:001) den Begriff der Betriebsstätte mit dem Wortlaut des § 12 AO definiert (ohne ihn allerdings ausdrücklich zu zitieren).
  3. Der Gesetzgeber verkompliziert die Beantwortung der Steuerpflicht ergänzend dadurch, dass er in § 1 Abs. 2 Satz 3 Nr. 4 für alle Sachverhalte, in denen durch eine Versicherung andere als die Sonderrisiken des § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr 1-3 VersStG abgesichert sind, eine Steuerpflicht für die Versicherungsnehmer, die keine natürlichen Personen sind, mit der Formulierung anordnet, dass sich bei Zahlung des Versicherungsentgelts der Sitz des Unternehmens des Versicherungsnehmers oder die Betriebsstätte, „auf die sich das Versicherungsverhältnis bezieht“, im Geltungsbereich des Gesetzes befinden müsse. Als Ergänzung hierzu definiert § 1 Abs. 5 der VersStDVO, Versicherungsnehmer im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 3 VersStG sei bei der Versicherung für fremde Rechnung der sogenannte „materielle Versicherungsnehmer“, also diejenige Person, deren Risiken durch die Versicherung gedeckt werden. Abgesehen von der eher verfassungsrechtlichen Frage, ob eine solche Legaldefinition überhaupt in einer Durchführungsverordnung bindend festgelegt werden kann, ist damit ein neuer Begriff in das Versicherungsteuerrecht eingeführt worden; die Abweichung gegenüber der Dualität von Versicherungsnehmer und versicherten Person, wie im Versicherungsvertragsrecht üblich, ist unübersehbar.
    Hintergrund der Überlegungen des Gesetzgebers könnte sein, dass mit dieser Anknüpfung ein deutsches Besteuerungsrecht für Sachverhalte eröffnet werden sollte, in denen der (formelle) Versicherungsnehmer zwar außerhalb des Geltungsbereich des deutschen Gesetzes ansässig ist, aber zum Beispiel eine in Deutschland gelegene Betriebsstätte ebenfalls versichert wird. Umgekehrt lässt sich der im BMF-Erlass vom 4. März 2021 (a.a.O., Rz. 32) vorgenommene  Rückgriff auf die Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs in dessen Urteil vom 14. Juni 2001 ( a.a.O.) ggf. dahin interpretieren, dass innerhalb des EWR ein Primat der Risikobelegenheit „an“ der jeweiligen Betriebsstätte über den damit entwickelten Begriff des „materiellen Versicherungsnehmers“ tatsächlich geschaffen werden soll. Ob darüber hinausgehend bei einer Betriebsstätte außerhalb des EWR trotz Ansässigkeit des Versicherungsnehmers im Geltungsbereich des Gesetzes kein Steuerzugriff mehr erfolgen soll, wenn sich das Versicherungsverhältnis auf diese Nicht-EWR-Betriebsstätte bezieht, liegt nahe, ohne dass sich hierzu eine endgültige Aussage im BMF-Schreiben vom 4. März 2021 finden ließe. Dass eigenständige Rechtsträger, auf die sich ein Versicherungsverhältnis bezieht, und die außerhalb des EWR liegen, von einer deutschen Versicherungsteuerpflicht frei sind, auch wenn der Versicherungsnehmer, der diese Einheit „für fremde Rechnung“ mitversichert hat, erscheint demgegenüber deutlicher zu bejahen. Eine Dokumentation dessen, was konkret versichert wurde und zu welchen Prämien, in der jeweiligen Aufteilung auf die Betriebsstätten, erscheint allerdings zur Absicherung einer entsprechenden Verfahrensweise der Verwaltung sehr sinnvoll.


  1. Der Gesetzgeber hat einen weiteren neuen Begriff eingeführt, indem er die Ausnahme für die Besteuerung von Personenversicherungen in § 4 Abs. 1 Nr. 5 VersStG dahingehend eingeschränkt hat, dass es sich bei der Absicherung um eine solche der natürlichen Person selbst, bei der sich das versicherte Risiko realisiere, handeln müsse. Der damit neu geschaffene Begriff der „Risikopersonen“ soll in Fällen, in denen etwa eine Invaliditätsversicherung nur der Absicherung eines Dritten, zum Beispiel des Vereins eines Berufsfußballers, dienen sollte, eine Versicherungsteuerbefreiung nicht mehr gestatten. Auch zu der Steuerbefreiung von Personenversicherungen bzw. deren Einschränkung hat das Bundesfinanzministerium recht umfangreich zu verschiedenen Fallkonstellationen Stellung genommen
    (BMF vom 20. Januar 2021  - III C 4 – S 6405/21/10001:001),insbesondere auch, um die Handhabbarkeit für die Personenversicherungsunternehmen zu gewährleisten, die ihre IT-Systeme zur Erfassung bestimmter Angaben noch bis Ende 2021 anzupassen haben. Auch wenn die Klarstellungen für die Steuerpflichtigen durchweg günstig sind, darf die Frage erlaubt sein, ob es noch rechtsstaatlichen Grundsätzen entspricht, das Gesetz unscharf zu formulieren und – wie es geschehen ist – im Gesetzgebungsverfahren – nach heftiger Diskussion im Finanzausschuss - nur dadurch unverändert durchlaufen lassen zu können, dass Klarstellungen außerhalb des parlamentarischen Verfahrens angekündigt und dann auch umgesetzt wurden.


  1. Eine weitere Streitfrage hat der Gesetzgeber in § 1 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VerstDVO entschieden, wenn er als amtliche Register im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VersStG für Schiffe die bei den Amtsgerichten geführten Schiffsregister festlegt. Ab dem Jahr 2021 ist damit gesetzlich geregelt, dass die regelmäßig das Eigentum ausweisenden Schiffsregister für den Sondertatbestand als „Risikobelegenheit“ maßgebend sein sollen. Für die Vergangenheit hat der Europäische Gerichtshof in einer brandneuen Entscheidung vom 15.04.2021 (C-786/19 – The North of England P&I Association Ltd) es ebenfalls für richtig gehalten,  allein auf das Schiffsregister abzustellen, in das das Schiff zum Zweck des Eigentumsnachweises eingetragen wird. Die bisherige Streitfrage, ob eher auf den Flaggenstaat abzustellen sei, ist damit entschieden. Fragestellungen im Kontext der Co-assured-Thematik (dazu BMF vom 27.05.2020 (III C 4 – S 6400/19/100001:006) sind aber weiter offen und nicht beantwortet.

Es bleibt dabei: Das Versicherungsteuerrecht mit seinem sehr eigenständigen Regelungsansatz und seiner Kombination aus Unionsrecht und nationalem Recht bleibt für die Rechtsanwendung eine erhebliche Herausforderung. Nicht nur die Vorfrage der Beurteilung des abgesicherten Risikos, sondern auch dessen Belegenheit und die daraus zu ziehende steuerliche Schlussfolgerung bleiben eine komplexe und in der Steuerbelastung für die Steuerpflichtigen überaus relevante Materie.

Prof. Dr. Jochen Axer
Wirtschaftsprüfer-Steuerberater-Rechtsanwalt (FAStR)
axis Rechtsanwälte GmbH
Dürener Str. 295-297
50935 Köln
axer@axis.de
www.axis.de

 

 

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