April 23, 2021 | Köln, Deutschland

Neues zu Pflichten und Haftung von Geschäftsleitern in Krise und Insolvenz

Jan Kordes, LL.M., Rechtsanwalt und Fachanwalt für Versicherungsrecht, BLD Bach Langheid Dallmayr, Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB

Am 01.01.2021 ist das Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts („SanInsFoG“) in Kraft getreten, das erhebliche Auswirkungen auf die Pflichten und die Haftung von Geschäftsleitern in der Krise eines Unternehmens hat. Herzstück des Gesetzes ist das Unternehmensstabilisierungs- und restrukturierungsgesetz („StaRUG“), durch das im Rahmen der Umsetzung einer EU-Richtlinie ein neues präventives Restrukturierungsverfahren für Unternehmen geschaffen wurde. Daneben wurde aber auch das Insolvenzrecht an verschiedenen Stellen modernisiert.

I.              StaRUG

Die erfolgreiche Sanierung und Restrukturierung eines kriselnden Unternehmens ist regelmäßig nicht ohne Eingriffe in Gläubigerrechte möglich. Gleichzeitig gilt im Grundsatz, dass je früher mit einer Restrukturierung begonnen wird, desto größer sind die Erfolgsaussichten und desto geringer normalerweise die erforderlichen Eingriffe in Gläubigerrechte. Gleichwohl ist es zumeist schwierig, alle Gläubiger von der Notwendigkeit zu überzeugen, frühzeitig freiwillig auf einen Teil ihrer Rechte zu verzichten. Gelingt dies nicht, war es bisher erst im Rahmen eines Insolvenzverfahrens nach Eintritt von Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung möglich, auch gegen den Willen der Gläubiger Gläubigerrechte zu beschneiden.

Hier soll das StaRUG mit einem präventiven Restrukturierungsrahmen Abhilfe schaffen, der bereits ab Eintritt einer drohenden Zahlungsunfähigkeit i.S.v. § 18 InsO in Anspruch genommen werden kann und eine Reihe von Sanierungsinstrumenten außerhalb eines förmlichen Insolvenzverfahrens zur Verfügung stellt. Grundlage für die Restrukturierung ist ein ggf. mit Unterstützung eines Restrukturierungsbeauftragten entwickelter Restrukturierungsplan, der insbesondere regelt, in welchem Umfang in Gläubigerrechte eingegriffen wird. Über diesen wird von den Gläubigern in den einzelnen Gläubigergruppen abgestimmt. Stimmen alle Gläubigergruppen mit qualifizierter Mehrheit zu, wirken die Regelungen des Plans für alle Gläubiger.

Zur Förderung der Restrukturierung bietet das StaRUG einen Baukasten aus Restrukturierungs- und Stabilisierungsinstrumenten, die nach Anzeige des Restrukturierungsvorhabens gegenüber dem Restrukturierungsgericht modular in Anspruch genommen werden können (vgl. § 29 Abs. 2 StaRUG). Hierzu zählen etwa die Durchführung eines gerichtlichen Planabstimmungsverfahrens und die gerichtliche Planbestätigung wie auch der Erlass eines Stabilisierungsanordnung (z.B. Untersagung der Zwangsvollstreckung).

Zur Wahrung der Gläubigerinteressen enthält das StaRUG aber auch verschiedene Regelungen im Hinblick auf die Pflichten und die Haftung von Geschäftsleitern.

  1. § 1 Abs. 1 S. 1 StaRUG verpflichtet die Geschäftsleiter juristischer Personen fortlaufend über Entwicklungen, welche den Fortbestand der Gesellschaft gefährden könnten, zu wachen („Pflicht zur Krisenfrüherkennung“). Inhalt und Reichweite dieser Pflicht ist abhängig von Größe, Branche, Struktur und Rechtsform des Unternehmens. Aber auch kleine Unternehmen sind verpflichtet, Risikoüberwachungsgebote zu beachten. Erkennen Geschäftsleiter bestandgefährdende Entwicklungen, müssen sie geeignete Gegenmaßnahmen ergreifen („Pflicht zur Krisenbewältigung“),
    wobei ihnen einer weiter Ermessenspielraum zukommt, und den Überwachungsorganen Bericht erstatten, vgl. § 1 Abs. 1 S. 2 StaRUG.
  1. Der Regierungsentwurf des StaRUG enthielt in § 2 ursprünglich eine allgemeine Verpflichtung von Geschäftsleitern, ab dem Stadium einer drohenden Zahlungsunfähigkeit die Interessen der Gläubigergesamtheit zu beachten. Die Verletzung dieser Pflicht sollte nach § 3 einen Innenhaftungsanspruch der Gesellschaft gegen den Geschäftsleiter gerichtet auf Ausgleich des Gesamtgläubigerschadens begründen. Die Verschiebung der von einem Geschäftsleitern im Rahmen seiner unternehmerischen Entscheidungen zu berücksichtigenden Interessen ab dem nur schwer zu ermittelnden Zeitpunkt einer drohenden Zahlungsunfähigkeit, weg vom Interesse des Unternehmens bzw. seiner Stakeholder hin zu den Gläubigern („shift of fiduciary duties“), hätte erhebliche neue Haftungsrisiken für Geschäftsleiter zur Folge gehabt. Da Geschäftsleiter mit Blick auf die Auswirkungen der Corona Pandemie aktuell aber bereits erheblichen Unsicherheiten ausgesetzt sind, wurden die entsprechenden Regelung kurzfristig wieder gestrichen.

Geblieben sind jedoch besondere gläubigerschützende Regelungen, die während eines anhängigen Restrukturierungsverfahrens gelten.

    1. So sind Geschäftsleiter nach 43 Abs. 1 S. 1 StaRUG verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass der Schuldner die Restrukturierungssache mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters betreibt und die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger wahrt. Die dabei zu beachtenden Pflichten werden in § 32 StaRUG weiter konkretisiert, wonach etwa Maßnahmen zu unterlassen sind, welche sich nicht mit dem Restrukturierungsziel vereinbaren lassen oder welche die Erfolgsaussichten der in Aussicht genommenen Restrukturierung gefährden. Unzulässig wäre es danach in der Regel, eine Forderung zu begleichen oder zu besichern, die durch den Restrukturierungsplan gestaltet werden soll. Pflichtverletzungen führen nach § 43 Abs. 1 S. 2 StaRUG zu einem Innenhaftungsanspruch der Gesellschaft in Höhe des den Gläubigern entstandenen Schadens, es sei denn der Geschäftsleiter hat die Pflichtverletzung nicht zu vertreten. Ein Verzicht oder ein Vergleich über diesen Innenhaftungsanspruch ist nach § 43 Abs. 2 StaRUG nicht in Ausnahmefällen möglich, wenn der Ersatz zur Befriedigung der Gläubiger erforderlich ist.
    2. Wichtig ist, dass während der Rechtshängigkeit der Restrukturierungssache die Insolvenzantragspflicht nach § 15a InsO ausgesetzt. An deren Stelle tritt nach § 42 Abs. 1 S. 2 StaRUG aber eine Pflicht des Antragspflichtigen, dem Restrukturierungsgericht den Eintritt von Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung ohne schuldhaftes Zögern anzuzeigen. Das Restrukturierungsgericht entscheidet dann, ob die Restrukturierungssache aufgehoben oder ausnahmsweise fortgeführt wird, sofern dies im Interesse der Gläubiger liegt, § 33 Abs. 2 StaRUG. Die Verletzung der Anzeigepflicht ist strafbar, § 42 Abs. 3 StaRUG. Sie führt in Verbindung mit § 823 Abs. 2 BGB zudem zu einer zivilrechtlichen Haftung ähnlich der Insolvenzverschleppungshaftung.
    3. Auf Antrag kann das Gericht in einer Restrukturierungssache eine Stabilisierungsanordnung erlassen, etwa die Zwangsvollstreckung in das Vermögen des Schuldners untersagen. Wird eine solche Anordnung aufgrund vorsätzlich oder fahrlässig unrichtiger Angaben erwirkt, ist der Geschäftsleiter den betroffenen Gläubigern zum Ersatz des Schadens verpflichtet, den sie durch die Anordnung erleiden, 57 StaRUG.

II.          Haftungsrelevante Änderungen im Insolvenzrecht

  1. Die insolvenzrechtliche Überschuldung i.S.v. § 19 InsO setzt eine zweistufige Prüfung voraus. Zum einen ist auf Grundlage einer Gegenüberstellung von Aktiva und Passiva zu prüfen, ob eine rechnerische Überschuldung vorliegt, wobei Liquidationswerte angesetzt und stille Reserven berücksichtigt werden. Hierfür ist der Insolvenzverwalter darlegungs- und beweisbelastet. Zum anderen ist zu prüfen, ob die Fortführung des Unternehmens nach den Umständen noch überwiegend wahrscheinlich ist. Für diese sog. positive Fortführungsprognose trägt der Geschäftsleiter die Darlegungs- und Beweislast. Es handelt sich nach h.M. um eine mittelfristige Zahlungsfähigkeitsprognose, bei der bisher streitig war, welcher Prognosezeitraum zugrunde zu legen ist. Die bisher h.M. hat auf das laufende und das nächste Geschäftsjahr abgestellt, also mindestens 12 und höchstens 24 Monate betrachtet. Seit dem 01.01.2021 hat sich der Gesetzgeber jedoch auf einen Prognosezeitraum von 12 Monaten festgelegt. Dieser Zeitraum ist für Geschäftsleiter leichter zu prognostizieren. Gleichzeitig wurden bestehende Rechtsunsicherheiten beseitigt. Zugleich wurde der Überschneidungsbereich mit der drohenden Zahlungsunfähigkeit nach § 18 InsO minimiert.
  1. Denn nach 18 InsO liegt eine drohende Zahlungsunfähigkeit vor, wenn der Schuldner voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen. Auch hier bedarf es daher eine Zahlungsfähigkeitsprognose und auch hier wurde insoweit von der h.M. bisher auf das laufende und das nächste Geschäftsjahr abgestellt. Seit dem 01.01.2021 hat der Gesetzgeber hiervon abweichend bestimmt, dass in der Regel ein Prognosezeitraum von 24 Monaten zugrunde zu legen ist.
  1. 15a InsO regelt die Insolvenzantragspflicht von Geschäftsleitern. Danach haben diese nach Eintritt von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung ohne schuldhaftes Zögern einen Insolvenzeröffnungsantrag zu stellen. Solange noch Aussicht auf eine Beseitigung des Insolvenzgrundes bestand, hatten Geschäftsleiter bisher maximal drei Wochen Zeit für die Antragstellung. Seit dem 01.01.2021 differenziert das Gesetz insoweit zwischen den Insolvenzgründen der Überschuldung und der Zahlungsunfähigkeit. Für die Überschuldung wurde diese Antragsfristfrist auf sechs Wochen verlängert, um so mehr Zeit für außergerichtliche Sanierungsbemühungen oder die Vorbereitung einer Eigenverwaltung zu gewähren. Bei der Zahlungsunfähigkeit ist es hingegen bei der 3-Wochenfrist geblieben.
  1. Wichtigste Neuerung ist jedoch die Einführung eines rechtsformübergreifenden Zahlungsverbots in § 15b InsO. Die sog. Haftung für Zahlung nach Insolvenzreife zählt zu den mit weitem Abstand größten Haftungsrisiken von Geschäftsleitern. Sie war bisher in verschiedenen Einzelbestimmungen wie etwa § 64 GmbHG, § 92 Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 93 Abs. 3 Nr. 6 AktG, § 130a Abs. 1 HGB geregelt, die gestrichen und in § 15b InsO zusammengeführt wurden. Wie schon bisher dürfen Geschäftsleiter nach Eintritt von Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der Gesellschaft keine Zahlungen mehr für diese vornehmen, sofern diese nicht ausnahmsweise mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind, § 15b Abs. 1 InsO. Verletzt der Geschäftsleiter diese Pflicht, so ist er nach Insolvenzverfahrenseröffnung zu Erstattung der geleisteten Zahlungen verpflichtet, § 15b Abs. 4 S. 1 InsO.

Zu beachten ist, dass es sich nicht um einen klassischen Schadensersatzanspruch handelt, da ein Schaden der Gesellschaft für eine Haftung nicht erforderlich ist. Das Zahlungsverbot bezweckt nach der Rechtsprechung des BGH vielmehr eine Gleichbehandlung der Gläubiger. Haftungsauslösend ist eine Zahlung daher bereits dann, wenn sie im Rahmen einer wirtschaftlichen Einzelfallbetrachtung zu einer Schmälerung der Masse zu Lasten der Gläubiger führt. Konsequenz ist, dass auch wenn mit einer Zahlung eine Verbindlichkeit der Gesellschaft getilgt wird, ihr also kein Schaden entstanden ist, der Geschäftsleiter gleichwohl haftet, wenn es zu einer Masseverkürzung gekommen ist. Praktisch relevant sind insoweit insbesondere Auszahlungen von kreditorischen Konten und Einzahlungen in debitorische Konten (da durch die Verrechnung des Zahlungseingangs mit dem Kontokorrent der Kredit an die Bank zurückgeführt wird).

Dabei hat der Gesetzgeber bei Einführung von § 15b InsO nicht lediglich die bisherigen Haftungsgrundsätze zusammengefasst, sondern auch einige Neuerungen aufgenommen:

    1. Für Geschäftsleiter günstig ist etwa die Aufnahme einer ausdrücklichen Privilegierung von Zahlungen im ordnungsgemäßen Geschäftsgang, insbesondere solchen Zahlungen, die der Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs dienen, da die bisherige Rechtsprechung des BGH im Hinblick auf die Privilegierung von Zahlungen sehr restriktiv war. Zu beachten ist aber, dass diese Privilegierung nur gilt, solange die Insolvenzantragsfrist nach § 15a InsO noch nicht abgelaufen ist. Zudem müssen Geschäftsleiter während des Antragszeitraums Maßnahmen zur nachhaltigen Beseitigung der Insolvenzreife oder zur Vorbereitung eines Insolvenzantrags mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters betreiben.
    2. Nach Ablauf der Insolvenzantragsfrist und fehlender Insolvenzantragstellung sind Zahlungen in der Regel nicht mehr mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar (vgl. Abs. 3), was vom BGH etwa in Fällen einer Interessenkollision weniger strikt gesehen wurde. So standen Geschäftsleiter z.B. im Hinblick auf die Abführung von Steuern oder Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung vor dem Konflikt, sich entweder bei Nichtabführung strafbar zu machen oder aber sich im Falle einer Zahlung einer zivilrechtlichen Haftung auszusetzen. Der BGH löste diesen Konflikt bisher, indem er derartige Zahlungen als mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar betrachtete. Dies galt unabhängig davon, ob die Insolvenzantragsfrist abgelaufen war oder nicht. Dies wäre mit Blick auf die Neuregelung in Abs. 3 nicht mehr ohne weiteres möglich.
    3. Hervorzuheben ist weiter, dass Geschäftsleitern in § 15b Abs. 4 S. 2 InsO nunmehr eine neue Verteidigungsmöglichkeit eröffnet wird. Kann er darlegen, dass der Gläubigerschaft ein geringerer Schaden entstanden ist, beschränkt sich die Ersatzpflicht auf den Ausgleich dieses Schadens. Hierdurch wird der Blick erstmals von der seitens des BGH vorgenommenen wirtschaftlichen Einzelbetrachtung einer jeden einzelnen Zahlung genommen und darauf gelenkt, welcher Schaden den Gläubigern im Rahmen einer Gesamtbetrachtung auch unter Berücksichtigung aller Massezuflüsse tatsächlich entstanden ist. Die Darlegung eines solchen geringeren Schadens im Rahmen einer Gesamtbetrachtung erfordert erheblichen Aufwand und begegnet großen praktischen Schwierigkeiten. Hier wird es entscheidend darauf ankommen, welche Anforderungen die Rechtsprechung in Zukunft an die Darlegung stellen wird.
    4. Last but not least sieht § 15b Abs. 8 InsO nunmehr einen Vorrang der Massesicherungspflicht vor dem steuerlichen Abführungsgebot Der bereits beschriebene Konflikt eines Geschäftsleiters zwischen der drohenden Strafbarkeit bei Nichtabführung von Steuern und der Haftung im Falle einer Abführung wird also entgegen der bisherigen BGH Rechtsprechung jetzt dadurch gelöst, dass die Nichtabführung der Steuern nicht mehr pflichtwidrig ist. Dies bedeutet allerdings, dass wenn die Steuern dann trotzdem gezahlt wird, der Geschäftsleiter wegen Zahlungen nach Insolvenzreife haftet. Zudem ist zu beachten, dass die Verletzung steuerlichen Abführungspflichten nur entfällt, solange die Insolvenzantragsfrist noch nicht abgelaufen ist.

Offenbar wurde vom Gesetzgeber übersehen, dass eine vergleichbare Interessenkollision auch mit Blick auf die Abführung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung und die drohende Strafbarkeit nach § 266a StGB besteht. Insofern wurde aber keine entsprechende Regelung in das Gesetz aufgenommen. Hier wird aber bereits verschiedentlich vertreten, dass die Regelung in § 15b Abs. 8 InsO analog anwendbar sei.

Jan Kordes, LL.M.
Rechtsanwalt/Counsel
BLD Bach Langheid Dallmayr
Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB
Theodor-Heuss-Ring 13-15
50668 Köln
jan.kordes@bld.de
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